Robert Winter ist Reise- und Musikfotograf aus Köln. Seit etwa einem Jahr fotografiert er außerdem regelmäßig für ekn. Im Interview berichtet er von seinen Anfängen in der Hiphopszene, der Arbeit für große Agenturen, persönlichen Vorbildern und seinem Indie-Magazine namens Passing Me By.
Du machst seit ungefähr einem Jahr die Fotos für ekn. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande? Das hat sich eigentlich ziemlich organisch ergeben. Ich habe Marek kennengelernt und mit meinem relativ großen Musikernetzwerk war’s kein Problem, wenn ich beim Shooting mal gesagt habe: “Hier, zieh doch mal die Schuhe an.” Gerade hier bei mir in Köln habe ich ein großes Netzwerk vom Plattenladen bis zur Kneipe, das sind alles sehr dankbare Spots und Motive für diese Art von Alltagssituationen, die ich für ekn fotografiere.
Bild 1: Robert in LA beim Videodreh für Masego & Ta-Ku, Bild 2: Donutladen „Dilla's Delights" von Uncle Herm, dem Onkel von J Dilla
Deine Bilder für ekn haben einen sehr distinkten Vintage-Look. Fotografierst du analog oder digital? Ich komme aus der Analogfotografie, aber für corporate Shootings ist das mittlerweile einfach viel zu teuer. Wenn du da einen Kunden hast, der sagt: “Hier hätte ich gerne nochmal eine andere Perspektive, können wir da noch ein paar verschiedene Versionen haben?”, dann rechnet sich das einfach nicht. Analogfilm ist mittlerweile so teuer, da kommst du mit der Entwicklung und allem drum und dran umgerechnet locker bei einem Euro pro Foto raus. Deswegen habe ich dann irgendwann auf Digitalfotografie geswitched. Ich bin aber sowieso auch kein cleaner, high-end Werbefotograf, mein Stil ist nicht sauber und poliert, wie man das von irgendwelchen Hochglanzshootings kennt. Das passt dann natürlich gut zu den Leuten, die ich fotografiere und auch zu ekn. Weißt du, dann guckt der eine mal schief, der andere hat noch die Kippe in der Hand, das sind ja alles Sachen, die für Werbefotografie klassischerweise eigentlich nicht erwünscht sind.
Nicht nur ekn, viele Brands haben dieser Katalogoptik mittlerweile abgeschworen. Wir leben in einem Zeitalter, in dem Marken nicht als Unternehmen wahrgenommen werden wollen, sondern lieber wie der Kumpel von nebenan. Genau. Deswegen passt das mit der Musik auch so gut. Was ich halt gut kann, ist, ein Setup zu schaffen, in dem die Leute cool und entspannt sind, in dem sie sich normal verhalten. So funktioniert das dann auch am besten mit den Muckern. Das sind halt keine Models. Außerdem kann ich das entsprechende Vokabular, bewege mich in dieser Welt ganz natürlich. Den Sprech von irgendwelchen Werbern und IT-lern habe ich nicht drauf. Die haben einen ganz anderen Humor, kennen nicht die selben Referenzen wie ich. In so einem Kontext würde ich diesen Vibe nie hinkriegen. Deshalb finde ich’s aber auch cool, dass die Bilder für ekn eigentlich ziemlich normale Fotos sind. Die Musiker, die ich vor der Linse habe, sind im Grunde auch ganz normale Dudes. Aber eben ein bisschen funky.
Bild 3: Cosplayfestival in Osaka, Bild 4: Zugfahrt nach St. Petersburg, Bild 5: Angler am Ufer des Bosporus
Angefangen hast du selbst als Musiker. Was hast du damals gemacht? Rap. Ich habe noch so eine Produktionsfirma mit zwei Kumpels, mit denen ich jahrelang eher die klassischen Werbejobs gemacht habe. Mit den beiden saßen und sitzen wir oft im Keller und machen Beats. Kiffen uns blöde und machen Beats (lacht).
Ein hervorragendes Wellness-Programm in diesen schwierigen Zeiten. Ja! Gerade 2020 passierte das dann sehr oft.
War das dein Segway in die Musikfotografie, der Hiphop? Wie hat sich diese Seite von dir herausgebildet? Quasi genau so. Wir waren 16 oder 18. Dann gab’s ‘nen Auftritt, da brauchte man Flyer. Und dann war die Frage halt: “Wer macht mal ein Foto davon?” Oder man bringt eine CD raus, selbst gebrannt, wie das damals so war. Da braucht man dann aber ein Booklet für und so weiter. Und so habe ich im Grunde angefangen zuerst für meine Crew und dann die befreundeten Crews aus der Umgebung die Cover zu machen. Das hat sich dann so ein bisschen verselbstständigt. Irgendwann hatte ich dann gar nicht mehr so Bock auf das Rappen selbst und fand dieses Gestalten viel spannender... Weil ich aber auch vor dem Rap vom Graffiti komme (lacht). Also ich bin quasi schon so alt, dass Rap für mich noch so ein Dreiklang war aus Graffiti, Rap...
...und Breakdance. Genau! Wir haben dann haben quasi in unseren Kinderzimmern gehockt und den ganzen Tag irgendwelche Tags und Pieces gemacht und so weiter. Da war immer diese visuelle, gestalterische Komponente dabei. Und rückblickend hat sich das einfach stärker manifestiert, als der Rap-Aspekt.
Der Übergang zur Fotografie ist also eher organisch entstanden, hat sich über die Zeit so herauskristallisiert. Oder war das bewusst, dass du gesagt hast: “Yes, das isses.” In echt war’s eigentlich viel schlimmer (lacht). Angefangen mit der Fotografie habe ich, weil meine Ex-Freundin damals ‘ne Kamera in der Kneipe gefunden hat, wo sie zu der Zeit gearbeitet hat. Das war eine der ersten Digitalkameras und die hat wohl irgendwer da liegen gelassen. Also der Typ, der die verloren hat, ist hoffentlich richtig sauer, aber er kam halt auch nie zurück in die Kneipe, um nachzufragen. Ich habe zu der Zeit noch gemalt. Damals hat man aber schon angefangen, Graffitis zu digitalisieren, in Photoshop abgefahrene Hintergründe zu basteln und so weiter. Ich bin dann dazu übergegangen, Strukturen zu fotografieren, die als Fills für die Buchstaben zu benutzen und damit rumzuexperimentieren. Irgendwann bin ich dazu übergegangen, nur noch Fotos zu machen. Ich habe da sehr früh einen Gefallen gefunden an – ich sag mal: Realität. Ich bin wie gesagt nicht sehr gut darin, Fotos zu inszenieren. Leute wie Dave LaChapelle, die riesige, inszenierte Bilder machen, sowas könnte ich gar nicht. Ich kann mir das im Vornherein nicht vorstellen. Aber wenn ich irgendwo lang gehe, bin ich so hyperaktiv in meinem Kopf, dass ich ständig sage: “Hey, coole Ecke. Hier, guck mal, was ist denn das?” Macht meine jetzige Frau natürlich wahnsinnig, weil ich so oft mit ihr spazieren gehe, aber so kam das bei mir sehr natürlich (lacht). Nicht, dass ich mich besonders auf die Fotografie fokussiert hätte, ich hab den Rest einfach sein gelassen, weißt du, was ich meine? Ich kann auch keine normalen Serien mehr schauen, dafür laufen bei mir den ganzen Tag irgendwelche Dokus – irgendwelche Reisereportagen, Russland von oben, oder so. Das ist fast das gleiche wie mit der Fotografie: Ich kann auch nur rausgehen, da sehe ich Dinge und dann fotografiere ich die. So ist auch die Idee zu Passing Me By entstanden, ich fahre einfach raus, halte fest, was ich erlebe, und suche auch diese Normalität.
Bild 6: U-bahn-Station in Moskau, Bild 7: altes Wohnhaus von J Dilla. Produziert hat er dort unter anderem: Erykah Badu, Common, Mos Def und Slum Village
Gutes Stichwort. Passing Me By – was hat es damit auf sich? Das Ganze lief zuerst auch wieder über die Hiphop-Welt. Ich war damals in Detroit, 2016. Da habe ich ein Musikvideo gedreht und ein Cover gemacht für Illa J, dem kleinen Bruder von J Dilla. Ich war ‘ne Woche da. Illa hatte nicht so viel Zeit, ich aber schon. Also bin ich einfach durch die Gegend gelaufen und war direkt völlig geflasht von der Stadt. Als General Motors noch da war, hat Detroit ja wirklich diesen amerikanischen Lifestyle verkörpert und gelebt, den man aus dem Fernsehen kennt. Dann geht GM und die Leute gehen auch. Das sieht heute total krass aus, überspitzt gesagt ist jedes zweite Haus verlassen oder abgebrannt. Das ist natürlich heftig. Aber aus Detroit kommt eben auch Motown, dann später Eminem, Illa J, dann Detroit Techno. Wenn du da bist, merkst du sofort, dass dieser Arbeiterklassenkontext aber auch die Perspektivlosigkeit da kulturell so viel geiles hervorgebracht hat. Mir war sofort klar, dass ich da unbedingt länger bleiben wollte. Die meiste Zeit bin ich einfach nur rumgelaufen. Es ist krass, wie fotogen dieses Land ist. Wenn du von oben drauf schaust, sieht die Stadt wirklich kacke aus, aber wenn du genau hinguckst, sind da überall Ecken wo du sagst: “Wow, das sieht einfach richtig geil aus, das könnte direkt aus nem Film stammen!” So bin ich da halt rumgelaufen wie ein Irrer eine Woche lang, kam zurück und dachte mir: “Okay cool. Jetzt habe ich ein paar Fotos von Illa J. Ich hab aber auch noch so 500 andere, die ganz geil sind.” Und dann habe ich damals mit Carhartt gesprochen, die das Illa J Shooting finanziert hatten. Die fanden die Bilder cool und meinten dann: “Fahr doch nochmal hin, mach ein Modeshooting mit Illa J und bleib diesmal zwei Wochen und mach einfach dein Ding.” Dabei kam so viel Material zustande, das ich unmöglich auf der Festplatte versauern lassen wollte, also habe ich einfach ein Magazin draus gemacht. Einfach nur Bilder, sonst nichts. Quasi als kleiner Urlaub für zuhause, WG-Toilettenlektüre (lacht). Das hat mir so viel Spaß gemacht und kam so gut an, dass ich im Folgejahr direkt nochmal los bin. Ich war dann in Tokio und Honshu, und hab einfach wieder das gleiche gemacht. Mich treiben lassen, spazierengehen. Am Tag laufe ich dann so zwischen zehn und zwanzig Kilometern. Mittlerweile vermarkte und vertreibe ich alles komplett selbst. Für die nächste Ausgabe soll es dann mit ekn nach Istanbul gehen.
Klingt nach einem Traumjob. Machst du sonst noch was? (lacht) Also leben kann ich von den Zines natürlich nicht. Geld kommt eher durch die Prints rein, die ich verkaufe, wenn Leute Bilder aus dem Magazin toll finden und mir dann schreiben, um die sich groß ziehen zu lassen. Das Magazin an sich dient da schon fast eher als Katalog. Aber: Dadurch, dass das Magazin so gut lief, konnte ich mich schon zu einem gewissen Grad aus dem Werbe- und Agenturkosmos zurückziehen. Das Problem ist halt: Im Endeffekt ist jeder Mensch käuflich. In dieser Werbebranche steckt so unfassbar viel Geld drin, das ist schon unangenehm, wie viel Geld sich da verdienen lässt. Aber dann landest du halt am Ende auch bei Kunden wie Nestlé oder Shell (lacht). Also die habe ich jetzt nicht gemacht, aber du verstehst, was ich meine! Und da bin ich dann doch sehr froh drum, wenn das Ganze auch indie klappt und man durch, ich sag mal, Kleinkunst überleben kann.
Bild 9: POV Martin a.k.a. V Raeter wird von Robert fotografiert. Im Hindergrund ein Foto von Martha Cooper (Roberts Heldin) Bild 10: Illa J im legendären Melodies & Memories - wo Common, Eminem und J Dilla ihre Sampleplatten gekauft haben
Nachhaltige Mode mit ekn. Ist das für dich ein Zwischenweg, mit dem du leben kannst? Überleben nicht in der völligen Askese, aber eben auf eine Art, wo man das Gefühl hat, nicht die eigene Seele oder den Planeten für zu verkaufen? Vollkommen. Also natürlich wäre das der best case, wenn alle da draußen nur meine Spazierfotos kaufen würden und ich davon meine Miete bezahlen könnte. Da kannst du dir dann aber auch wieder überlegen: “Ey Robert, was bist du denn für ein Arschloch? Nur weil da ein Typ auf der Straße vorbeigelaufen ist, den DU funky fandest, der aber vielleicht ‘nen Scheißtag hatte, hast du den einfach abgelichtet. Jetzt sieht der da traurig aus. Irgendwer interpretiert da was rein, findet das total geil für sich zuhause und bestellt sich ‘nen Print, aber im Endeffekt machst du das dann doch irgendwie auf dem Rücken von dem Typen, den du da fotografierst.” Also das ist schon eine ganzheitliche Kette irgendwo. Mir ist schon klar, dass ich irgendwie auch ein bisschen arbeiten muss. Also meine Zeit für Dinge aufbringen muss, die ich sonst nicht gemacht hätte. So gesehen cool, dass ich die Shirts jetzt mit ekn machen kann, das hat dann eine gewisse Message. Ich mein’ ich mach das jetzt nicht mit H&M.
Du hast erwähnt, dass du die Normalität suchst, sehr dokumentarisch fotografierst. Meinst du, dass der Erfolg von Passing Me By etwas damit zu tun hat, dass sich viele Leute in dieser Welt, wo alles ständig verfügbar ist und sich oft künstlich anfühlt, nach etwas “echtem” sehnen? Lustig, dass du das sagst. Das ist mit Sicherheit so. Und durch diese Verfügbarkeit wird man auch so haltlos. Die Leuten wissen zum Teil nicht mehr, was richtig und was falsch ist, was sie selbst mögen, was nicht. Selbst Trends: Gibt’s ja global so gar nicht mehr, wie wir das mal kannten. Es gibt im Grunde nur noch Trends innerhalb der eigenen Bubble.
Stichwort Bubble: Wer sind eigentlich deine größten künstlerischen Einflüsse? Martha Cooper aus den USA. Die hat quasi die Hiphop-Fotografie erfunden, sag ich jetzt mal ganz überspitzt. In Sachen Reportagefotografie auf jeden Fall Ara Güler, das ist ein Streetfotograf aus Istanbul, der die Schwarzweißfotografie dort sehr geprägt hat. Und dann würde ich noch einen Franzosen anbringen, oh Gott, jetzt muss ich die richtige Aussprache raussuchen… Henri Cartier-Presson. Als ich vom Selbermalen zum Fotografieren kam, habe ich mir viel so alte Schwarzweißfotos reingezogen und da habe ich mich in seiner Arbeit völlig drin verloren.
Deine aktuelle Lieblingskamera und -Objektiv? Die Streetfotografie mache ich mit einer Leica und einem 35mm-Objektiv. Alles, was ich für ekn mache, schieße ich auf einer Hasselblad X1D, ihres Zeichens die erste portable, digitale Mittelformatkamera. Und auch mit einem 35mm-Objektiv.
Und dein Lieblingsschuh von ekn? Den Alder find ich super. Und den Low Seed in schwarz hab ich! Super dezent und echt bequem, kann man gut tragen.
Das Interview mit Robert wurde für uns von Max Röbel geführt. Vielen Dank!