Editorial

SUMMER IN THE CITY

Die Band The Lovin’ Spoonful haben im Jahr 1966 einen Nerv getroffen. Mit dem Sommerhit, der den Titel dieses Editorials trägt, schafften sie es weltweit in die Hitparaden. Sänger John Sebastian erzählt dort von den heißen, unerträglichen Sommertagen in der Stadt, geprägt von Schmutz und Schweiß. Aber nachts, da beginnt das Leben. Man putzt sich heraus und geht in Diskotheken, sucht sich eine fremde Person zum Tanzen und verliebt sich zumindest für ein paar Stunden. Das Narrativhandelt von einer Auflösung des Alltagsstress’, einem kleinen Genuss im hektischen Leben.

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Denken wir an Luxus, haben wir oft große Namen vor uns, Häuser, die zu geräumig sind für ihre Bewohner, ein Leben im Überfluss. Dabei kann Luxus auch bedeuten, sich durch bewusste Entscheidungen das Leben einfacher zu machen. Ein Strauß Blumen auf dem Tisch, ein Eis in der Mittagssonne oder zum teureren Produkt zu greifen, weil man sich damit besser fühlt, so kann der Luxus des Alltags aussehen. Die eigene Wahrnehmung spielt dabei die wohl größte Rolle: Nur wer bewusst lebt, kann Luxus erfahren.

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Dass diesem Komfort mit Ablehnung begegnet wird, ist tief in der europäischen Geistesgeschichte verankert. Schon Platon erkannte als gesunde Gesellschaft nur die an, die strikt nach ihren geringsten Bedürfnissen lebt, während Thomas Hobbes gar der Ansicht war, der menschliche Drang nach Luxus führe zwangsläufig zu Gewalt und Anarchie. Für den puritanischen und asketischen Protestantismus ist nach Max Weber Wohlstand nur ethisch, wenn er hart erarbeitet und sparsam genutzt wird. Leben im Überfluss führt aber auch ganz real zur sozialen Ungleichheit. Wer seinen Reichtum zur Schau stellt, übt Macht über andere aus.

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Deswegen müssen wir Luxus neu denken. Nicht als Verschwendung, nicht als Instrument, um die eigene Überlegenheit auszudrücken. Sondern vielleicht als Self Care, als eine Möglichkeit zur Identitätsstiftung. Herauszufinden, was einem selbst und anderen gut tut und diese Dinge und Momente zu genießen, da kann Luxus anfangen. Luxus ist nicht nur, wenn ich Geld ausgeben kann, sondern auch, wenn ich mir Zeit mit Freund*innen nehme, um einen heißen Tag am See zu verbringen und sich gegenseitig die Seele zu streicheln. Das Gegenteil von Überfluss ist nicht der Verzicht, sondern die Suche nach einer besseren Lösung – Wie Flugzeuge, die die Atmosphäre sauberer machen, anstatt sie zu verschmutzen. Luxus ist, das Gute noch besser zu machen.

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1973 veröffentlicht Quincy Jones eine CoverVersion von »Summer In The City«, auch dieser Song wird zum Hit. Seichte Strings mischen sich mit knisternder Percussion und verspielten Key. Die Leichtigkeit wirkt fast drückend, wie anschwellende Hitze, bevor erst zum Schlussteil Gesang einsetzt, fast wie ein Ausbruch aus der gestauten Atmosphäre des Stücks. Die Entschleunigung, die das Stück bietet, ist genau das, was wir in der Hitze der hektischen Stadt brauchen.

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Im Berliner Bergmannkiez nehmen wir uns Zeit. Yannick und ich schlendern durch kleine Straßen und Hinterhöfe. Beim Anblick des Wasserfalls im Viktoriapark atmen wir tief durch. Hier kann man zur Ruhe kommen. Später essen wir zu Mittag, während 50 Meter weiter Lastwagenfahrer mit Autokorso und Hupkonzert demonstrieren, während um uns hunderte Menschen die Straße hinauf und hinunter hetzen. Trotzdem können wir den Moment genießen. Das ist kein pompöser Urlaub, sondern ein schöner Vormittag mit guten Gesprächen und viel Gelächter, der psychische Entlastung bietet.

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Dieser Sommer fühlt sich anders an. Aufgrund der globalen Pandemie sind viele unserer Pläne geplatzt, Urlaub findet dieses Jahr nicht auf Mittelmeerinseln statt, sondern auf dem Balkon oder dem nächstgelegenen Zeltplatz. Wer trotz der diesjährigen Katastrophen Tag für Tag arbeitet, muss besonders darauf achten, sich eine Auszeit zu nehmen. Die Stadt bietet fast unbegrenzte Möglichkeiten, das Umland noch mehr Raum und Ruhe. Sich vom vollen Terminkalender zu lösen, um diese Möglichkeiten wahrzunehmen, ist der erste Schritt zum alltäglichen Luxus. Man findetihn dann dort, wo man die kleinen und großen Dinge bewusst genießen kann.

Yannick trägt unseren neuen Sneaker Ash in Off White Nubuck

Text und Foto von Till Wilhelm